Kulturentwicklung: Angst- oder Lernkultur?
Das Wassermelonenphänomen: Außen grün, innen rot
Viele Führungskräfte sind fest davon überzeugt, dass in ihrem eigenen Team eine Kultur der Offenheit und Transparenz gelebt wird. Fehler dürfen offen angesprochen werden, die Tür des/der Vorgesetzten steht allen offen – es kommt ja auch niemand.
Mythen und Scheinbarkeiten zieren häufig Beobachtungen, Aussagen und Schlachtrufe von Führungskräften und Mitarbeitenden aus Personalabteilungen über die Zusammenarbeit in der eigenen Organisation – ein Blick in Ausschreibungen bei Jobportalen genügt.
Doch die Wirklichkeit sieht oft ganz anders aus. Scheitern ist nicht erlaubt und wird tabuisiert. Der Glanz des Erfolgs steht über allem und bildet so die Norm, an der alles orientiert und ausgelegt wird. Die Angst vor Misserfolg, oftmals mit dem Begriff Stress verharmlost, die so entsteht, durchdringt die Mitarbeiter*innen und füllt die Gänge der Organisation.
Von der Angst- zur Lernkultur: Veränderung entsteht, wenn Angst im System sein darf!
„Wer tiefer geht, versteht mehr“. Diese Binsenweisheit ist relevanter denn je. Durch äußere, allgegenwärtige Beschleunigungstendenzen ist jeder Mensch verführt mitzugehen, schneller zu werden… Wir Menschen sind „verführbar“, dafür sorgt unsere individuelle Bedürfnisstruktur. Doch um wirklich besser zu verstehen, was in uns und um uns herum passiert, braucht es die Gegenbewegung, die Verlangsamung und Reflexion allein und in der Gruppe.
Nur diejenigen Organisationen werden in Zukunft sinnhaften und nachhaltigen Erfolg haben, die sich auch erlauben, ängstlich und unsicher zu sein. Die den Mitarbeiter*innen Reflexionsräume für authentischen Beziehungsaustausch bieten und interessiert daran sind, diesen Raum auch mit Leben und Engagement zu füllen. Gemeinsam zu lernen, wie das gehen kann, ist ein Prozess. Denn echte Veränderung entsteht, wenn Angst und Unsicherheit im System sein dürfen und darüber gesprochen wird. Erst dann ist die Angst bereit sich zu verändern, kleiner zu werden und teilweise auch zu gehen. Innovation, Vertrauen, Spaß, Authentizität,… vieles Neues, Sehnsüchtiges kann (wieder) entstehen.
Über die Bedeutung der Botschaft entscheidet der Empfänger, nicht der Sender
Führungskräfte dürfen lernen, mehr über ihre eigenen Einflusskreise zu erfahren. Alles, was gesagt und getan wird, hat einen Einfluss, eine Deutbarkeit für andere. Mitarbeiter*innen sind ziemlich achtsam und regieren sensibel auf das, was v.a. hierarchisch höher gestellte Mitarbeitende sagen und tun. Hierbei ist das „wie“ wesentlich schneller als das „was“. Über die wahrhaftige Bedeutung der Botschaft entscheidet stets der Empfänger, nicht der Sender. Das wird häufig missverstanden bzw. übersehen.
Führung impliziert authentische Haltungsarbeit
Führungskräfte müssen (!) verstehen, dass ihre innere Haltung entscheidend ist. Unsere Haltung beeinflusst nachhaltig unser Verhalten. Führung impliziert authentische Haltungsarbeit. Denn wie sagt es William O´Brian: „Der Erfolg einer Intervention hängt vom inneren Zustand des Intervenierenden ab.“ Es braucht heute mehr als je zuvor die Kompetenz, sich mit sich selbst, sprich der eigenen inneren Kraft und Flexibilität, zu verbinden. Dies ist die Grundlage dafür, um in einer konstruktiven Verbindung zu anderen zu verbleiben, als auch sich zu differenzieren und abzugrenzen, ohne den Gegenüber zu verletzen bzw. zu „vergraulen“. In Verbindung zu sich selbst wird der konstruktive Umgang mit der eigenen Angst möglich. Innere Kraft entsteht, mehr Vertrauen im System wird die Folge sein.
Kulturentwicklung: Lernen in die Veränderung zu kommen
Die Organisationskultur ist das Produkt gemeinsamer „Lern-Prozesse“ aller Mitarbeiter*innen im System.
Bei Kulturentwicklungsprozessen wird das gemeinsame Lernen innerhalb der Organisation durch die Unterstützung von außenstehenden Prozessbegleiter*innen betrachtet und zurück an die Mitarbeiter*innnen im System/ in der Organisation gespiegelt. In gemeinsamen Reflexionsschleifen zwischen Prozessbegleiter*innen und Mitarbeiter*innen wird versucht das gemeinsame Lernen sinnstiftend, also im Sinne der beteiligten Mitarbeiter*innen, intentional zu beeinflussen. „Lernen wollen“ ist dabei eine wichtige Voraussetzung für eine Veränderung der Kultur. Angst, Sorge, Unmut, Wut,… über sinnige und unsinnige Veränderung dürfen sein und werden thematisiert und dauerhaft besprechbar gemacht.
Eine bedeutsame Folge solcher gemeinsamer Reflexionsschleifen ist, dass mehr Verständnis füreinander entwickelt wird und die Beziehungen der Individuen untereinander belastbarer werden. Der Mensch ist immer ein empathiefähiges Wesen, es ist Zeit, diesen Fakt und diese wunderbare Qualität von uns Menschen mehr in den Fokus gemeinsamer Zusammenarbeit zu legen.